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Werdumer Altendeich

Einige 100m nach Verlassen des Ortsschildes Richtung Altfunnixsiel kommen wir links Richtung Norden bzw. Neuharlingersiel und fahren auf einem alten Deich, der als Straße ausgebaut wurde, entlang. Dies ist der in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandene Werdumer Altendeich, der damals die Begrenzung zum offenen Meer darstellte. Ja, Werdum lag mal am Meer, genauer gesagt an der Harlebucht, einer Meeresbucht der Nordsee; Werdum lag damit als Halbinsel am Westufer der Harlebucht. Erst im 11. Jahrhundert fing man an, einen Deichring rund um das ost-friesische Festland zu legen, den sog. Goldenen Ring. Dieser Deich, zunächst nur ca. 0,5 – 1 m hoch (die meisten Lärmschutzwälle sind heute mind. doppelt so hoch), sorgte dafür, dass die meist als Viehweiden genutzten tiefer gelegenen Ländereien nicht mehr bei jeder Flut (immerhin ja 2x am Tag) überflutet wurden, sondern nur bei höheren Fluten, also insbesondere im Herbst und Winter, in denen ja auch die früher noch viel mehr gefürchteten Sturmfluten stattfanden. Eine solche Sturmflut war es auch, die diesen schon niedrigen Deich auf ganzer Länge von Emden bis zum heutigen Wilhelmshaven zerstörte: die Marcellusflut vom Februar 1362, auch große Manntränke genannt wegen ihrer verheerenden Wirkung. So war das „trocken“ gelegte Land wieder ungebremst den Gezeiten ausgeliefert. Zwar wird es Ausbesserungsarbeiten gegeben haben, die jedoch keine dauerhaft ausreichende Lösung waren, sondern nur „Flickwerk“ darstellten. Das darauf folgende 15. Jahrhundert war mehr durch kriegerische Auseinandersetzungen geprägt als durch ökonomisch wichtige Maßnahmen: Die kleinen Häuptlingsherrschaften in den Dörfern verschwanden, das Harlingerland als eine Herrlichkeit für die Gegend um Esens und Wittmund entstand. Das Harlingerland stellt heute etwa den nördlichen Teil des heutigen Landkreises Wittmund dar und wurde von etwa 1450  bis zum Jahr 1600 von Esens aus regiert. Im 16. Jahrhundert hatte sich Ostfriesland wieder befriedet, und es war wieder Zeit, an das Wohlergehen der Bewohner zu denken. Auch war die Idee entstanden, das tiefer gelegene und fruchtbare Land ggf. für neue Ansiedlungen attraktiv zu machen.

So entstanden auf dem Gebiet der Harlebucht über die Jahrhunderte immer mehr Deiche, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts in etwa die heutige Deichlinie rund um Ost-Friesland erreicht war.

Mit dem Deich von Großholum bis an den Schnittpunkt von Werdumer Altendeich und Werdumer Altengroden konnten mehrere 10000 ha mit einer Maßnahme gewonnen werden. Zum gewonnenen Bereich zählte ja nicht nur der Bereich rund um Werdum, Nordwerdum und Wallum; auch zwischen Großholum und Margens bestand eine kleinere Teilbucht, die mit dieser Máßnahme trocken gelegt wurde. Es blieb das heutige Neuharlinger Sieltief als Entwässungsbecken für das umliegende Land übrig, und bei der Seriemer Mühle entstand ein kleines Siel. Dies war lange vor der Entstehung Neuharlingersiels, für das die Siellegung erst 1693 erfolgte.

Heute liegen die teilweise stattlichen Höfe am Deich bzw. der Straße, nur vereinzelt finden wir Höfe, die mitten im neu gewonnenen Land entstanden, so z.B. das in der Nähe einer der beiden auf Werdumer Gebiet errichteten Windkraftanlagen gelegene Haus aus dem Jahr 1595. Hier wohnte in den 1980er Jahren der Bestsellerautor Hans-Helmut Kirst (1914-1987, „08-15“), der das alte Gebäude um einen Erweiterungsbau ergänzte und wenige Jahre später auch hier starb und begraben ist.

Ab den 1950er Jahren sind hier einige neue Höfe entstanden, da man im Zuge des Neuaufbaus Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg daran interessiert war, siedlungswilligen Menschen eine Existenzgrundlage in der Landwirtschaft zu bieten.

Arend Remmers, Von Aaltukerei bis Zwischenmooren, Leer 2004, S. 236