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Mit Rad up Padd

Corona macht es den Vereinen in diesem Jahr schwer, ein attraktives Programm für Einheimische und Touristen auf die Beine zu stellen. So finden wegen des meist erheblich höheren Aufwandes bei Vorbereitung und Durchführung in diesem Jahr keine Feste im Dorf in den Sommermonaten statt. Dieses reißt in die Planungen für die Veranstaltungen insbesondere in der Hauptsaison ein nicht zu schließendes Loch, bietet jedoch auf der anderen Seite Vereinen, die nicht so spektakuläre Veranstaltungen mit einer nicht so großen Aufmerksamkeit von Publikum anbieten, die Möglichkeit, mit insbesondere Freiluftveranstaltungen mehr in den Fokus des Interesses zu gelangen. So fand beispielsweise unter großer Beteiligung vor einigen Wochen ein Open Air Gottesdienst auf dem Dorfplatz statt, der Haustierpark ist wieder gut besucht, und auch der Rasende Kalle läuft nicht nur wegen der geringeren Kapazität in seinen Wagen an seinen Aktionstagen mehr denn je seine Runden durch das ganze Dorf.

Der Kulturverein Werdum wiederum hat sich kurzfristig entschlossen, statt seiner Einen jährlichen Fahrradtour im September dieses Jahr zusätzlich eine im August anzubieten. Ursprünglich sollte diese Anfang August stattfinden, wegen des damalig sehr heißen Wetters wurde diese jedoch um 2 Wochen verschoben. Der Verein und vor 2013 der Heimatpflegebeirat des Heimat- und Verkehrsvereins unter der Führung von Rainer Hinrichs bietet seit nunmehr fast 15 Jahren kulturhistorische Radtouren rund um Werdum in den warmen Monaten des Jahres an: Anfangs waren dies 2 Touren des 2005 erschienenen Radtourenpaketes „Harlebucht erfahren“, die Land und Leute interessierten Einheimischen und Erholung Suchenden nahe bringen sollten, seit 2013, dem Jahr, das ostfrieslandweit als „Land der Entdeckungen“ ausgeschrieben war und an dem sich weit über 100 Institutionen beteiligt hatten, wurden mit Werdum als Ausgangs- und Endpunkt Touren zu den „Adeligen Gütern im Harlingerland“ durchgeführt, an denen in der Spitze bis zu 50 Radfahrer teilgenommen haben. Mit den Jahren entstanden so insgesamt 4 Touren rund um Werdum.

Abfahrt vom Werdumer Dorfplatz
Abfahrt vom Werdumer Dorfplatz

So startete dieses Mal vom Dorfplatz eine von Heiko Habben geführte Schar von 12 Teilnehmern, die sich auf die Suche nach Spuren zu den Harlingerländer Adeligen in südlicher Richtung gemacht haben. Es ging zunächst nach Groß Husums, wo auf einer Karte um 1670 neben den 3 vorhandenen eine 4. Hofstelle verzeichnet war, die mit adeligen Freiheiten, d.h. z.B. mit freier Ausübung der Jagd oder Steuererleichterungen ausgestattet war. Hier lässt sich heute aber keine Spur eines adeligen Gutes mehr erkennen, man schaut auf eine ungepflegte Wiese. Bei dieser Gelegenheit erläuterte Rainer Hinrichs die 2 Phasen der adeligen Vergangenheit des Harlingerlandes: Ursprünglich galten die friesischen Bauern im Mittelalter als frei und nur dem Kaiser untertan, sie mussten keinen Kriegsdienst leisten und konnten ihr Gemeinwesen selbst regeln.  Später haben sie einen „Dorfsprecher“, den sogenannten Häuptling, als Vertreter ihrer Interessen gewählt, dessen Amt mit der Zeit erblich wurde, also von Generation zu Generation überging. Anfang des 15. Jahrhunderts reichte den einzelnen Häuptlingen ihre Macht in ihrem kleinen Dorf nicht mehr, und sie begannen, Kämpfe mit ihren Nachbarn auszufechten. Als Ergebnis dieser Kämpfe gab es nur noch ein Machtgebiet, welches die Gebiete um Esens, Wittmund und Stedesdorf und darüber hinaus vereinte. Das Harlingerland war geboren (etwa 1440). Um die ehemals selbständigen Häuptlinge still zu halten, dass sie nicht wieder aufbegehrten, ließ man Ihnen Teile ihrer alten Macht und auch ihre Burgen, welche vielfach lediglich größere Bauernhöfe waren. So entstand erstmals in diesem Gebiet so etwas wie ein Adel. Die 2. Phase ist als Folge der Vereinigung des Harlingerlandes mit dem übrigen Ostfriesland ab dem Jahr 1600 anzusehen: Die wichtigen Geschäfte spielten sich nun in Aurich ab, hier saßen die ostfriesischen Grafen, später Fürsten. Am Hof gab es auch Beamte, die die Amtsgeschäfte ihrer Herren ausführten und nach ihrem Ruhestand zu versorgen waren. Hier reichte es häufig schon aus, dass gewisse Erleichterungen von Abgaben auf Grundstücke gewährt wurden, um den betagteren Herren und deren Familien ein angenehmeren Lebensabend zu gestalten. Da normale Höfe diese Abgaben selbstverständlich zu leisten hatten, war eine behördliche Entscheidung erforderlich, um auch faktisch diese Vergünstigungen zu gewähren. Diese Höfe wurden dann ebenfalls adelig frei genannt; diese 2. Phase hielt bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts an.

So auch hier: Der Hof in Groß Husums, ursprünglich etwa 25 ha groß, stand um 1660 im Besitz einer Familie Weihe, wurde dann wohl vom ostfriesischen Hof gekauft und lastenfrei an eine aus dem Brandenburgischen stammende Familie Stechow gegeben, die Drostenfunktionen (höhere Verwaltungsbeamte) u.a. in Esens und Aurich innehatte. In der Preußenzeit ab 1744 verlor dieser Hof seine Privilegien und wurde etwa um 1900 abgerissen und nicht wieder aufgebaut.

Der Hof der Familie Meents wird besichtigt
Der Hof der Familie Meents wird besichtigt

Danach ging es weiter nach Erichswarfen auf den Hof der Familie Meents: Hier kann man anhand der Baumreihen und dem darunter gelegenen Graben noch auf der westlichen Seite die Umrisse des ehem. Burggrundstückes erkennen. Die Bebauung darauf hat sich über die Jahrhunderte natürlich immer wieder geändert und wurde den jeweils aktuellen landwirtschaftlichen Bedürfnissen angepasst: Heute befindet sich hier ein Hähnchenmaststall mit Ackerbau. Erstmals wurde er 1379 genannt mit seinem Bewohner Hayo Eriksna, aus dem dann auch der Name Erichswarfen sich herleiten ließ. Später bewohnte diesen Hof auch eine Familie von Specht, die einflussreiche Positionen in der Region inne hatte und von der noch heute ein Kirchenstuhl, der sog. Junkerstuhl, in der Buttforder Kirche erhalten ist.

Vor der Buttforder Kirche
Vor der Buttforder Kirche

Daraufhin wurde der Kirche dann auch ein Besuch abgestattet: Lt. Rainer Hinrichs zählt diese Kirche in seiner Gestaltung zu den 3 schönsten Kirchen in ganz Ostfriesland: Beachtenswert ist der sog. Lettner, eine in der Mitte der Kirche sich befindende bogenmäßige Empore aus der katholischen Zeit der Kirche, auf der der Pastor predigte und auf der auch die Orgel aus dem Ende des 17. Jahrhunderts angeordnet ist. Sie stellt eine symbolische Trennung der Gemeinschaft der Gottesdienstbesucher von dem Altarraum dar und sollte die Erhöhung der christlichen Insignien von den Gläubigen darstellen. Beeindruckend sind neben dem Junkerstuhl über dem Westeingang zum Kircheninneren die z.T. aufwändig verzierten Türen an den Kirchenbänken.

Obwohl Buttforde heute ein recht kleines Dorf ist, zählten in früherer Zeit 3 Standorte von Häuptlingsburgen zu dem Ort: Erichswarfen, Haus Buttforde und Neudorf. Der letztere Ortsteil liegt nur einen knappen km westlich von der Kirche entfernt und hat ebenfalls eine interessante Geschichte aufzuweisen: Die erste Erwähnung stammt aus einem Testament um 1400, und schon bald ist eine verwandtschaftliche Beziehung mit dem Hof Erichswarfen und auch der heute noch bestehenden Burg Fischhausen bei Hooksiel aufzuweisen. Bald lassen sich auch familiäre Stränge bis nach Westfalen zur Familie Böselager (Name bekannt vielleicht auch durch einen Hitler-Attentäter des 20.07.1944) verfolgen. Heute wird hier keine Landwirtschaft mehr betrieben.

Danach ging es einige Kilometer quer durch ein Hin und Her von Wallheckenlandschaft der höher gelegenen Geest und der baumarmen Marschenlandschaft hin zum Hof Reitzburg, ca. 3 km östlich des Dorfes Stedesdorf. Begünstigt durch die ehemalige unmittelbare Nähe zu einem Seitenarm der ehemaligen Harlebucht konnte zum einen von diesem Hof aus in geringem Maße Schiffahrt und vielleicht auch Handelsschiffahrt betrieben werden, zum anderen aber auch eine Absicherung der Grenze des Einflussbereiches betrieben werden. Aber schon seit etwa 1500 ist kein adeliger Bezug des Hofes mehr nachzuweisen, und seitdem wird hier Landwirtschaft, überwiegend Grünlandbewirtschaftung und Viehzucht betrieben.

Rainer Hinrichs hat zum Pausentee gedeckt
Rainer Hinrichs hat zum Pausentee gedeckt

In einer Grillhütte mitten im Ort Stedesdorf wurde dann gemütlich eine Kaffeepause mit selbst gebackenem Kuchen eingelegt.

Anschließend wurde dann noch ein kurzer Stopp bei der Kirche in Stedesdorf eingelegt, die als eine der ältesten erhaltenen Steinkirchen in ganz Ostfriesland gilt: 1137 geweiht, wurde sie zu einem großen Teil aus gräulichen Tuffsteinen gebaut, die mühsam auf Kanälen aus der vulkanreichen Eifel hierher transportiert wurden. Außerdem wurde auf den auf dem Kirchturm befindlichen Schwan statt eines Kreuzes hingewiesen, der auf den heute lutherischen Bezug der Kirche hinweist. Beim Pfarrhaus stand früher ein Taubenhaus, so dass, wenn Stedesdorfer früher heirateten, sie „achter´d Duufkast gahn“, also hinter das Taubenhaus gingen.

Besichtigung der Kirche in Stedesdorf
Besichtigung der Kirche in Stedesdorf

Weiter ging die Fahrt weiter Richtung Thunum zum Hof Fiekensholt: Dieser Hof beherbergte früher wahrscheinlich eine Klosteranlage und wurde nach der Reformation in den 1550er Jahren an eine Familie Brawo übergeben, die ursprünglich aus dem Ammerland stammte, wo es bei Westerstede einen Ortsteil Fikensholt gibt, der wohl als Stammsitz dieser Familie anzusehen ist. Später war er u.a. Sitz der Familie des Leibgardisten des Prinzen von Oranien und ab ca. 1820 der Familie Kettler, die aus Norden stammte. Dieser baute den Hof nach klassizistischer Weise aus und präsentiert sich nach umfangreichen Renovierungen in den letzten Jahren auch heute noch so. Auf dem Kirchhof ist interessant der Glockenturm aus dem 14. Jahrhundert, der auch als Wehrturm diente und der davor postierte Grabstein des Ede Reentzen aus dem Jahr 1394.

Auf dem Rückweg befindlich wurde ein Zwischenstopp in Boisenhausen eingelegt: Von diesem Hof konnte Rainer Hinrichs auch eine zeitgenössische Zeichnung des damaligen Gutes vorweisen, die der damalige Pastor Cadovius Müller aus Stedesdorf gegen Ende des 17. Jahrhunderts angefertigt hatte. Heute befindet sich hier ein Pferdehof der Familie Buldt, der sich auch in der Feriensaison bei Gästen hoher Beliebtheit erfreut.

Den Abschluss bildete ein Besuch der Werdumer Burg in Edenserloog, das als ältestes erhaltenes nichtsakrale Gebäude im Landkreis Wittmund gilt. Um 1400 erbaut, können seitdem alle Bewohnerfamilien nach vollzogen werden. Bis etwa 1760 waren diese adeliger Natur, seitdem ist die Familie Cramer hier ansässig. In den 1970er Jahren wurde die eigentliche Burg verkauft und damit von dem landwirtschaftlichen Anwesen getrennt. Einige Jahre waren Peter Ehlebracht und seine Musikerkollegen der Band Insterburg und Co. hier ansässig, bevor das Gebäude 1985 in das Eigentum von Notar Menno Visser aus Emden überging.

Besuch der Thunumer Kirche
Besuch der Thunumer Kirche

 

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