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Mit dem Rad unterwegs – auch bei Regen

Der Kulturverein Werdum führt seit einigen Jahren in den wärmeren Monaten Radtouren zu den ehemaligen adeligen Gütern im Harlingerland durch. Konzentriert sind diese Touren auf die Region rund um Werdum, von wo in alle Himmelsrichtungen Touren entwickelt wurden, die abwechselnd abgefahren werden. So war ursprünglich für letzten Freitag eine Tour in nördliche Richtung nach Neuharlingersiel und über reizvolle Wege zurück eingeplant. Die organisatorischen Vorbereitungen waren durchgeführt, eine Einkehrmöglichkeit für Kaffee und Kuchen gefunden, jedoch war bereits seit Tagen für diese Nachmittagsstunden durchgehender Regen gemeldet. Diese Vorhersage galt auch noch am Freitagmorgen (einschließlich Kachelmann-Wetter), so dass Hauptorganisator Rainer Hinrichs die Tour zunächst abgesagt und auf den kommenden Freitag verschoben hatte. Im Laufe des Vormittags änderten sich die Vorhersagen jedoch dahingehend, dass für die Nachmittagsstunden Regen nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit gemeldet wurde. Nach Rücksprache mit der Tourist-Information, bei der sich im Laufe der vergangenen Woche einige Interessierte gemeldet hatten, entschloss er sich schließlich, bei entsprechender Anzahl von Interessierten doch eine kleine Tour durchzuführen, die statt einer normalen Strecke von rund 25 km etwa eine Strecke von 15 km umfassen sollte.
Gesagt, getan! Zum vereinbarten Zeitpunkt am vereinbarten Ort, dem Dorfplatz, traf sich etwa ein halbes Dutzend gespannter Radfahrer, die es schade gefunden hätten, wenn sie jetzt ohne durchgeführtes Veranstaltungsangebot hätten wieder nach Hause fahren müssen, und so ging es unter Herbeirufen von Heiko Habben, der als Tour-Begleitung quasi zum ständigen Inventar der kultur- historischen Radtouren gehört, los.
Erste Station war eine ungemähte Weidefläche in Gross-Husums im äußersten südlichen Zipfel der Gemeinde Werdum. Hier soll bis vor etwa 100 Jahren ein Hof gestanden haben, der zeitweise adelige Rechte hatte. Bei dieser Gelegenheit erzählte Rainer Hinrichs geschichtliche Zusammenhänge rund um die adelige Vergangenheit im Harlingerland. Das Harlingerland stellt dabei etwa die Region des heutigen nördlichen Landkreises Wittmund dar, in dem etwa 30-40 Höfe oder Güter eine adelige Vergangenheit vorweisen können. Die adelige Zeit des Harlingerlandes hat dabei recht spät, etwa seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts, eingesetzt: Voran gegangen waren kämpferische Handlungen im Harlingerland, bei sich dem einzelne Dörfer gegeneinander auseinandergesetzt haben und am Ende ein Herr, nämlich der des Harlingerlandes, gesiegt hatte und seine Macht entfalten konnte. Die übrig gebliebenen unterlegenen Dorfherren, Häuptlinge genannt, hat man damit ruhig gestellt, dass man ihnen einige ihrer alten Rechte, Gerechtigkeiten, genannt, gelassen hat und damit so eine Art Adel geschaffen hat, der als Bindeglied zwischen dem einfachen Bürger und dem Landesherren des Harlingerlandes fungieren konnte.

Eine 2. Phase dieser adeligen Rechte setzte dann ab etwa Beginn des 17. Jahrhunderts ein, als das Harlingerland durch Heirat der letzten Erbin mit einem ostfriesischen Prinzen quasi als Mitgift ostfriesisch wurde und das Harlingerland dann von Aurich aus regiert wurde. Hier waren natürlich auch Bedienstete tätig, sei es in der Verwaltung oder im Militär, die im Ruhestand versorgt werden mussten. Dafür kaufte das Fürstentum Ostfriesland zunehmend Höfe auf und überließ diese dann diesen verdienten Staatsdienern und erließ den Höfen auch eine gewisse Höhe an Abgaben, so dass darin auch ein gewisses adeliges Privileg zu sehen war und sie auch als adelig frei bezeichnet wurden.

Zu dieser 2. adeligen Phase zählte auch der Hof in Großhusums, welches Rainer Hinrichs auch anhand eines Auszugs aus der 350 Jahre alten sog. Regemortschen Karte zeigen konnte. Ansässig war zu jener Zeit dort eine Familie von Stechow, die aus dem Brandenburgischen stammend, im 17. Jahrhundert als leitende Beamte in Esens und Wittmund tätig waren und vom ostfriesischen Haus diesen Hof als Dank für geleistete Dienste erhielten. Nach einem etwa 100 Jahre währenden Familieneigentum wurde er verkauft, so dass die bisherige Abgabenfreiheit verfiel und bis in den Beginn des 20. Jahrhundert auch das ganze Anwesen, so dass heute nichts mehr an diesen adeligen Hof erinnert.

Weiter ging es nach Erichswarfen, welches heute politisch zur Stadt Wittmund, Ortschaft Buttforde, zählt. Hier lassen sich urkundliche Eintragungen bis etwa 1394 zurück verfolgen, als ein Hajo Eriksna als einer von 3 Buttforder Dorfhäuptlingen hier ansässig war und von dem dieser Hof auch seinen Namen erhalten hat. Später bestanden verwandtschaftliche Verbindungen bis ins Jeverland nach Waddewarden und Fischhausen, später sogar bis in die Familie von Böselager im Münsterland, deren Name im Jahr 1944 sogar allgemeine Bekanntheit erlangt hat als einer der Verbündeten am Hitlerattentat im Führerhauptquartier in der Wolfsschanze/Ostpreußen. Später war eine Familie von Specht hier ansassig, die als höhere Beamte in Wittmund tätig waren und von denen heute in der Buttforder Kirche noch ein Kirchenstuhl erhalten ist. Im 18. Jahrhundert trat hier die Familie Ennen auf den Plan, die später den Hof in unmittelbarer nördlicher Nachbarschaft gründete und der heute sich noch in deren Familienbesitz befindet. Der Häuptlingshof hingegen kam durch Heirat um 1860 in den Besitz der Familie Meents, die ebenfalls hier noch ansässig ist und auch noch Landwirtschaft betreibt.

Es stand nun eine etwa 3 km währende Fahrt durch die Landschaft mit dem Rad an, die am sog. Haus Buttforde ihr vorläufiges Ende fand: Hier bestand historisch ein weiterer der 3 Buttforder Häuptlingshöfe: Ein Abkömmling der Werdumer Häuptlingsfamilie, Hicko  von Werdum, erwarb zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Wittmunder Drost diesen Hof und dessen adeligen Rechte und begründete eine kleine Dynastie, die erst im Dreißigjährigen Krieg Mitte des 17. Jahrhunderts endete. Ein Abkömmling gründete um 1600 den Hof Hofmeisterinnenburg in Anspielung auf die ehemalige Funktion seiner Ehefrau Eilke Beninga am ostfriesischen Hof in unmittelbarer nördlicher Nachbarschaft; direkt gegenüber wurde einige Jahrzehnte später der Hof Diepenbrock gegründet. Dieser Filialhof des Hauses Buttforde wurde von der Familie Diepenbrock geschaffen, die – ursprünglich vom Niederrhein bei Bocholt stammend- nach dem Tod des letzten von Werdum hier eingeheiratet hatte. Gegen 1790 wurde der Hof an eine Familie Feken/Meents verkauft, die den Hof bis vor einigen Jahren auch noch besaß. Nach dem Verkauf an einen entfernten Verwandten will dieser wieder die ursprüngliche bauliche Gestalt von vor etwa 100 Jahren herstellen.

Nun setzte doch der ursprünglich angekündigte Starkregen ein. Gottseidank konnte man sich in Höhe Diepenbrock, das heute eine Art Kleingartenanlage darstellt, unterstellen und den etwa 10 Minuten währenden Regenschauer abwarten.

Dann ging es weiter Richtung Altwerdumer Grashaus, ebenfalls in etwa 3 km Entfernung. Dafür sollte eigentlich ein Sandweg bei Endzetel genutzt werden, der nach Funnixerhörn und damit in unmittelbare Nähe des Altwerdumer Grashauses führt. Da eine solche Überquerung wegen der Stärke des Regenschauers wohl nicht ohne Weiteres möglich gewesen wäre, wählte man eine Alternativstrecke, die über Funnix Fähre (Brücke über die Harle), Westerdeich und Altfunnixsiel nach Funnixerhörn und Altwerdumer Grashaus führte.

Dieses noch heute landwirtschaftlich und als Reiterhof bewirtschaftete Gut kann heute noch Wohngebäudeteile aus der Entstehungszeit um 1670 vorweisen. Diese wurden um 1998 aufwändig von der heutigen Eigentümerfamilie Ulfers restauriert. Die Geschichte dieser Ansiedlung geht jedoch noch einige Jahrhunderte weiter zurück in den Beginn des 15. Jahrhunderts: In jenen Jahren hat der weichende Erbe der Burg in Werdum etwa 200 Meter weiter nördlich ein Anwesen namens Sieboldsburg begründet. Er muss seinerzeit sehr verärgert gewesen sein, dass er die Werdumer Burg nicht erbte, da er trotz eigener Kinderlosigkeit verhinderte, dass die Sieboldsburg nach seinem Tod an die Werdumer Herren wieder zurückging. Stattdessen ging es an den Esenser Drost und damit fast 500 Jahre in staatlichen Besitz, erst an die Harlingerländer Herren, dann an die Ostfriesen, Preußen, Hannover und wieder Preußen (Provinz Hannover). In dieser Zeit war es immer verpachtet und gelangte erst 1931 an die heutige Eigentümerfamilie Ulfers. Ein Grashaus ist dabei eine Art Filialhof oder Vorwerk, in dem Erntevorräte und Vieh untergebracht werden. 1670 musste die alte Burg abgebrochen werden, und das heutige Gebäude entstand.

Abschließend wurde die Werdumer Burg im Werdumer Ortsteil Edenserloog betrachtet: Rainer Hinrichs berichtete davon, dass dieses Gebäude um 1400 errichtet wurde und als ältestes nichtsakrale (also: nichtkirchliche) Gebäude im Harlingerland gilt. Vorher soll die Burg in Nähe der Kirche gestanden haben. Ältester bekannter Werdumer Häuptling war Reent der Ältere, der etwa von 1370-1420 herrschte. Sein Nachfolger war Reent der Jüngere, der die Erbstreitigkeiten mit seinem Bruder Siebold von der Sieboldsburg hatte. Die Häuptlingswürde behielt die Familie bis etwa 1750, als die Adoptivtochter und Erbin einen Pastoren aus dem Ort Accum namens Cramer heiratete und die nun die bürgerliche Linie begründeten, die bis heute anhält. Das Burggebäude selbst wurde um 1970 an den Manager der Band Insterburg & Co. Veräußert und öffnete die Räume zeitweise für rauschende Feste, an denen auch Mitglieder der Dorfjugend teilnahmen. 1985 wurde die Burg weiter veräußert an einen Notar Visser aus Emden, in dessen Familienbesitz sie sich heute noch befindet. Bekannt ist die Sage vom Werdumer Schinken, die der örtlichen Bevölkerung im 30-jährigen Krieg die Eroberung durch die Söldnertruppe der Mansfelder ersparte. Aktuell soll aus Mitteln der Dorfentwicklung ein Teil des Daches erneuert werden.

Damit endete die spontane Tour, die dann durch den Umweg über Westerdeich dann doch die gängige Länge von etwa 25 km umfasst hat.

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