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Spaß beim Fahrradfahren

Nachdem in der letzten Woche die turnusmäßige Radtour aufgrund unbeständigen Wetters abgesagt wurde und statt dessen eine kürzere Tour gefahren wurde, die einen etwas wechselhaften, jedoch letztlich durchaus interessanten Verlauf genommen hatte, ging es jetzt am Freitag zur ursprünglich geplanten Tour los: Der Wettergott hatte ein Einsehen, und zwar waren die Temperaturen ein wenig niedriger als in der letzten Woche, dafür strahlte nahezu durchgehend die Sonne vom Himmel.

Am Treffpunkt Dorfplatz fanden sich wiederum etwa ein halbes Dutzend an Land und Leuten interessierter Radfahrer ein, die sich auf eine Entdeckungsreise durch die letzten Jahrhunderte ostfriesischer Geschichte begaben: Unter der Begleitung von Rainer Hinrichs und Heiko Habben waren wieder die adeligen Güter im Harlingerland das Ziel. Dieses Mal war die Nordtour des aus 4 Radtouren rund um Werdum bestehenden Programms Thema. Über Wallum ging es zunächst durch die weiträumige Marschenlandschaft nach Nordwerdum.

 

Dieser aus einer runden Dorfwarft bestehende Ort ist vor etwa 2000 Jahren durch menschliche Aufschüttung entstanden und stellt heute den ältesten Ortsteil der Gemeinde Werdum, noch älter als der eigentliche Kernort Werdum, dar. Durch eine Erhöhung des Meeresspiegels in den darauf folgenden Jahrhunderten bildete er den einzigen sturmflutsicheren Standort in der näheren Umgebung (ähnlich den Halligen in Nordfriesland). Dies änderte sich erst, als ab etwa dem 11. oder 12. Jahrhundert die erste geschlossene Deichlinie rund um Ostfriesland, der sog. Goldene Ring, entstand. Dieser Deich hatte jedoch nur etwa eine Höhe von etwa 0,5 bis 1 m und sollte im Wesentlichen vor der 2x täglich auflaufenden Flut schützen, damit man das dahinter liegende Land landwirtschaftlich nutzen konnte. Im Herbst und Winter wurde dieser jedoch regelmäßig überspült, und so verwundert es nicht, dass er bei der sehr heftigen Marcellusflut im Jahr 1362 auf ganzer Linie brach bzw. weggespült wurde. Die zuvor getätigten Maßnahmen rund um die Kultivierung der eingedeichten Flächen waren dahin, und das Wasser hat sich zunächst wieder seine alte Bahn zurück geholt. Eine Wiedereindeichung im größeren Stil fand dann erst etwa 150 Jahre später statt, als zunächst die Flächen rund um Werdumer Altengroden (südlich der Straße Werdum-Altfunnixsiel) und kurze Zeit später die Flächen rund um Werdumer Altendeich mit Abschluss etwa bei der Seriemer Mühle. Dieser Deich war dann schon rund 2 m hoch und konnte einen besseren Hochwasserschutz gewährleisten.

Interessant in Nordwerdum ist zudem das Krüßelwark (hochdeutsch: Kreuzelwerk)-Haus der Familie Kobuch aus dem Jahr 1617: Die Benennung stammt daher, dass das Wohngebäude quer zum Wirtschaftsgebäude steht. Dies war eine Vorgängerform zum späteren Gulfhaus und war insbesondere in der Zeit vom 16.-18. Jahrhundert geläufig. Es wurde über viele Generationen hier Landwirtschaft betrieben, heute befinden sich im ehemaligen Wirtschaftsgebäude Ferienwohnungen. Eine adelige Vergangenheit ist mit dem Hof aber nicht verbunden.

Weiter ging es über Werdumer Altendeich nach Neuharlingersiel zunächst zum Gut Alt-Addenhausen. In der laublosen Winterzeit kann man hier neben dem Campingplatz von der Straße einen markanten Eingangsbereich mit einer alten Inschrift über der Tür erkennen. Das seit einigen Monaten von der Familie Sterl aus München (früher Kissmann) betriebene Anwesen hat durchaus eine interessante Geschichte zu erzählen. Bevor es dazu kam, hat Rainer Hinrichs zunächst die 2 kurzen Phasen (jeweils etwa 1-2 Jahrhunderte) der adeligen Vergangenheit des Harlingerlandes dargestellt (s. Bericht letzte Woche: erst mussten die ehemaligen Häuptlinge ruhig gestellt werden, dann verdiente Staatsdiener entlohnt werden). Addenhausen selbst lag im Mittelalter etwa einige 100 Meter nördlich des heutigen Seedeiches. In der verheerenden Allerheiligen-Sturmflut von 1570 musste der Ort dort aufgegeben werden und wurde an der heutigen Stelle wieder gegründet. Einige Jahre zuvor erst hatte die Familie Eyben diesen Hof als adelig frei von der damaligen Gräfin Agnes von Bentheim, die in Esens das Harlingerland beherrschte, erhalten. Die adelige Freiheit bestand dann im wesentlichen darin, dass die üblichen Abgaben nicht zu entrichten waren und man auch gewisse Nutzungsrechte (Gerechtigkeiten) wie das der Jagd oder der Fischerei auf den Besitzungen hatte. Aus dem Haus stammt auch einer der bekanntesten deutschen Rechtsgelehrten der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts: Ulrich von Eyben (1629-1699). Er wirkte u.a. am Reichskammergericht in Speyer und hat die deutsche Rechtsgeschichte maßgeblich mitbestimmt.

Weiter ging es zum Sielhof im Ortskern von Neuharlingersiel: Dieses Gebäude war zunächst ein einfaches Wirtschaftsgebäude, bevor es die Familie Eymen 1755 erwarb. Sie baute es großzügig um und verkaufte es nach 1825 (nach der Blasiusflut, die letzte Flut, die im Harlingerland Deichbrüche verursacht hat) wie auch den Hof in Addenhausen an die Familie Eucken aus Esens, die es zum Wohnhaus umnutzte. Dessen Sohn ging zum Militär und war um 1850 Königlich Hannoverscher Rittmeister in Aurich. Dessen Sohn Georg Eucken (1855-1942), der später geadelt wurde und seinem Namen ein Addenhausen hinten an stellte, hat die Gestalt des Hauses nochmal geändert, indem er vor etwa 120 Jahren eine kleine Kapelle im Westbereich des Gebäudekomplexes anbaute. Auch im Übrigen kann er eine eindrucksvolle Vita vorweisen: Nach einem juristischen Studium begann er seine berufliche Laufbahn als Bürgermeister von Eisenach und war später Oldenburgischer Gesandter in Berlin. Nach seinem Abschied in diesem Dienst nahm er seinen Wohnsitz in Neuharlingersiel und erwarb zudem noch 2 Höfe im Ort, so dass die Gesamtfläche des Betriebes 166 ha betrug. Später war er auch noch Präsident der Ostfriesischen Landschaft, wo er sich um die Bildung für die ländliche Bevölkerung verdient gemacht hat (u.a. Gründung der Landvolkshochschule Potshausen bei Leer).

Um sich ein Bild von den genannten Personen zu machen, führte Rainer Hinrichs die Fahrradfahrer in das ehemalige Wohnzimmer der Familie, wo Gemälde und Abbildungen zu sehen waren. Heute befinden sich im oberen Bereich Räume der örtlichen Touristinformation, unten ein Restaurant. Also kehrte man dann in das Restaurant ein und genoss draußen bei schönem Sonnenschein eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen.

Anschließend ging die rasante Fahrt weiter nach Carolinensiel: Am südlichen Ortseingang befindet sich der Hof Fürstinnen Grashaus: 1732 kurz nach der Entstehung Carolinensiels (1729) entstanden, errichtete der damalige ostfriesische Graf für seine Ehefrau ein landwirtschaftliches Gebäude, damit diese daraus Einnahmen für ihre eigene Lebensführung erzielen konnte. Anfangs fanden in diesem Gebäude auch die Gottesdienste für den Ort statt, bevor 1776 im Ort die Deichkirche, eine von 2 deutschen auf einem Deichkörper erbauten Kirchen errichtet wurde.

Carolinensiel selbst liegt inmitten der ehemaligen Harlebucht, einer Meeresbucht, die sich noch bis vor ca. 600 Jahren von etwa Neuharlingersiel bis ins wangerländische Minsen und Richtung Süden bis etwa Höhe Wittmund-Jever erstreckte. Die heutige Landschaft ist also erst in den letzten 600 Jahren entstanden, und was von der Bucht übrig blieb, ist das kleine Flüßchen Harle, welches von Wittmund bis in den Harlesiel sich entlang schlängelt. Es hat einen der fruchtbarsten Ackerböden Deutschlands hervor gebracht, und dass der Bodenhub zum Meer hin immer mehr anwächst statt niedriger wird, lässt sich sehr gut an der Böschung des Flüßchens Harle ablesen: Während er bei Wittmund lediglich etwa 2-3 m beträgt, beträgt er in Höhe Fürstinnen Grashaus schon 4 m und beim Harlesiel etwa 5 m.

Ein Stück entlang der Bundesstraße 461 ging es über Neufunnixsiel und Funnixerhörn nach Altwerdumer Grashaus. Die Geschichte dieses Gebäudes von 1670 wurde in der letzten Woche schon ausführlich behandelt.

Den Abschluss bildete erneut die Burg Edenserloog in Werdum, deren wechselvolle Geschichte ebenfalls in der letzten Woche beschrieben wurde. Damit sind die Fahrradtouren für diese Saison abgeschlossen. Rainer Hinrichs berichtete von einer Thementour Kirchen, die sich in der Entwicklung befindet.

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