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Kirchengeschichte per Rad erfahren

Nachdem im Juni die neue Fahrradtour des Kulturvereins mit dem Themenschwerpunkt Kirchen im nördlichen Harlingerland -entwickelt in Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden Carolinensiel – Funnix – Berdum – Asel und Werdum-Neuharlingersiel erfolgreich absolviert wurde, erfolgte nun die 2. Tour -dieses Mal mit dem Schwerpunkt auf der Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen.
Leider fuhr von dieser Zielgruppe trotz umfangreicher Werbung (der Kirchenkreis hatte mehrere Tausend Jahres-Programmhefte für die Kinder- und Jugendarbeit verteilt; es war die Veranstaltung aus Plakaten an den bekannten kirchlichen und weiteren Aushängen zu ersehen, und auch das Werdumer Blatt hatte in seiner Ausgabe vom 21.07.22 ausführlich berichtet) niemand mit, jedoch fanden sich einige Interessierte, darunter unser ehemaliger Vakanz- (1. Halbjahr 2021) und jetziger Inselpastor von Spiekeroog, Friedemann Schmidt-Eggert, der es sich nicht nehmen ließ, die Realisierung der in seiner Zeit als Vakanzpastor von Carolinensiel entstandene Tour persönlich zu testen und auch mit der einen oder anderen persönlichen Notiz zu bereichern.
Erfreulich war zunächst, dass die Carolinensieler Kirche wieder zugänglich war: Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten seit dem Frühjahr sollte sie am Folgetag (23.07.) offiziell der Gemeinde wieder übergeben werden.
Die Ausstattung dieser erst 1776 fertig gestellten Deichkirche (sie liegt auf einem sog. „Schlafdeich“, nachdem 1765 der neue Seedeich mit dem Namen Friedrichsgrodendeich bis Friedrichsschleuse fertig gestellt wurde) ist besonders. Zu nennen wäre zum einen der Kanzelaltar (quasi Altar und Kanzel in einem), den es in dieser Form selten in Ostfriesland gibt; zum anderen die Tatsache, dass man sich nicht nur mit einem Votivschiff (einer Gabe der örtlichen Fischer zur „Besänftigung“ Gottes) begnügt hat, sondern hier 2 Schiffe (in voller Takelage, eigentlich unüblich bei der Präsentation im Heimathafen) zu sehen sind, die auch nicht von der Decke hängen wie in anderen Küstenkirchen, sondern jeweils einen Standplatz entlang der Wand hinter dem Altarbereich gefunden haben. Das eine ist eine Brigg, die nicht ganz die tatsächlichen Größenverhältnisse wieder gibt, was wohl damit zusammen hängt, dass sie ehemals auch von der Kirchendecke hing und man sie von unten betrachtete, das andere eine Fregatte, die ja von Natur aus einen größeren Schiffskörper hat.
Am Glockenturm wies Rainer Hinrichs noch auf den Grabstein von Marie Ulfers (1888-1960) hin, der dort samt der Inschriften ihrer Schwestern und ihrer Eltern (der Vater war Segelschiffkapitän in Carolinensiel) erhalten ist.
Weiter ging es bei schönem Radfahrerwetter (ca. 18 Grad, bewölkter Himmel) über verschlungene Wege zum Teil an der Harle entlang durch Neu- und Altfunnixsiel und die Höfe in Westerdeich entlang rund um die Dorfwarft von Funnix zur Funnixer Kirche.
Diese Kirche, um 1300 entstanden, lässt zwar nicht so viel Tageslicht in den Kirchenraum, lädt aufgrund seiner vielfältigen Ausstattung zur Spurensuche ein. Insbesondere der reich geschmückte Dreiflügel- Altar aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts lädt zur intensiven Betrachtung der einzelnen Elemente ein. Interessant ist dabei eine Anekdote, die auch einen Bezug zur aktuellen Politik hat: Donald Trump hat den derzeitigen amerikanischen Präsidenten Joseph Biden im Präsidentschafts-Wahlkampf und auch danach mehrmals Sleeping Joe (schlafender Josef) genannt. Man fragt sich jetzt, wo dies herkommt. Dies hat einen biblischen, ja neutestamentarischen Hintergrund: So wird gelegentlich gesagt, dass Josef, der Ehemann der heiligen Maria, während der Geburt von Jesus geschlafen haben soll. Diese Szene findet sich auch -überaus detailgetreu gestaltet- auf dem Funnixer Altar wieder.

Trotz des sonst recht kargen Charakters der Kirche finden sich doch einige aufgestellte Grabsteine aus der frühen Neuzeit im Kirchenraum -vor der Witterung geschützt- hier wieder; auch am Kirchturm gibt es noch einige Exemplare.
Interessant ist die Empore, die den Bereich der Gemeindemitglieder von dem geistlichen Bereich mit dem Altar trennt. Dies ist mancherorts durch ein gemauertes Gebilde geschehen, in Funnix aber durch ein Gebilde aus Holz. Auf ihm ist heute die Orgel postiert; die Empore verdeckt jedoch die ungehinderte Sicht auf den schönen Altar.
Begeistert von den Eindrücken ging es nun weiter -wiederum die Harle überquerend- nach Buttforde. Hinter Pockens reihen sich drei ehemalig große Höfe, die eine intensive Verbindung zu Buttforde aufzuweisen haben. Dies sind nacheinander zunächst rechts Diepenbrock,  von dem nur noch eine Scheune erhalten ist; der ehemalige Standort des Hofes wird aktuell als Naherholungsgebiet (in Ostdeutschland würde man Datsche sagen, in Westdeutschland allgemein Laubengrundstück) genutzt. Ihm folgt auf der linken Seite gleich gegenüber Hofmeisterinnenburg (der Name begründet sich aus der Funktionen einer der ehemaligen Besitzerinnen des Hofes, Eilke Beninga (gestorben 1649). Sie war zeitweise Hofmeisterin am ostfriesischen Hof in Aurich.
Etwas weiter Richtung Buttforde liegt der Hof Haus Buttforde. Der Zusatz Haus deutet darauf hin, dass dieser Hof ehemals adelige Funktionen hatte. Und genau: Hier lassen sich die Spuren eines von drei Häuptlingen von Buttforde feststellen (neben Haus Buttforde waren dies Erichswarfen und Neudorf). Hier hat sich zeitweise auch ein Zweig der adeligen Familie von Werdum befunden, so auch Johann von Werdum-Buttforde, der Ehemann der o.g. Eilke, der dieser irgendwann in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunders den Hof Hofmeisterinnenburg geschenkt haben muss.
Und auch der Hof Diepenbrock war einst ein Filialhof des Hauses Buttforde, denn ebenfalls in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts heiratete eine Tochter des Hauses einen Spross aus dem Haus Diepenbrock (bei Emden ansässig), und die Familie übernahm die Besitzung für ein knappes Jahrhundert. In dieser Zeit muss auch der Hof Diepenbrock entstanden sein.
Einen knappen Kilometer später war die Kirche in Buttforde erreicht. Über die überaus reichhaltige Ausstattung und den freundlichen Gesamteindruck hatte ich bereits im Werdumer Blatt vom 21.07.22 berichtet. Einige ergänzende Details zum neugierig machen möchte ich jedoch noch zum Besten geben: Da wäre zum einen der Lettner: Lettner dürfen sich normalerweise nur Gebilde nennen, deren Sichtfenster zum Altar geschlossen sind. Dies ist darauf zurück zu führen, dass sich in diesen kleinen geschlossenen Räumen in katholischer Zeit Seitenaltäre befanden, die vor oder nach den Gottesdiensten von den Gemeindegliedern genutzt werden konnten. Diese Füllelemente sind in den 1960er Jahren aus den Seitenaltären entfernt worden, um einen besseren Blick auf den Altar zu schaffen. Dieser Altar ist auch etwas Besonderes: Ursprünglich ist er nämlich um 1400 als Dreiflügelaltar entstanden, der um 1600 zu einem Schriftaltar umfunktioniert worden ist. Eine weitere Besonderheit sind die bemalten Türen von einzelnen Kirchenbänken, deren ursprüngliche Gestaltung aus dem 17. Jahrhundert noch teilweise erhalten und zur Kennzeichnung in einer anderen Farbgebung dargestellt ist. Es ist davon auszugehen, dass jede Familie im Dorf ihre eigene Kirchenbank hatte und dafür sicherlich auch einen Obolus an die Kirchengemeinde entrichtet hat. Aus diesen Wertvorstellungen her dürfte um 1700 auch der Junkerstuhl der auf dem Hof Erichswarfen ansässigen Familie Specht entstanden sein (Der Frauenstuhl in der Werdumer Kirche stammt übrigens der gleichen Zeit). Rätsel warfen übrigens auch die mit einem Kreis versehenen Kreuze auf: Diese sind sowohl in Funnix, als auch in Buttforde anzutreffen. Es sind Weihekreuze aus der Zeit der Entstehung der Kirchen im katholisch geprägten Mittelalter, die auf den Empfang bischöflicher Weihen für die Kirche hinweisen.

Die Tour wurde dann beendet, ohne die Werdumer Kirche zu besichtigen. Auch über die Ausstattung jener Kirche hatte ich bereits im Artikel vom 21.07.22 berichtet.
Es hat jedoch jeder die Gelegenheit, weitere Informationen über jene Kirche zu erhalten.
Entweder über eine Kirchenführung, die alle 2 Wochen mittwochs um 17 Uhr stattfindet (das nächste Mal am 3. August. Das Angebot kann ohne Anmeldung wahrgenommen werden und ist kostenfrei.
Oder aber durch eine Teilnahme an der nächsten ThemenfahrradtourKarken up Rad“ am 16. September um 15 Uhr auf dem Ulrich-von-Werdum-Platz (Dorfplatz) in Werdum.
Anmeldungen werden erbeten bis 15. September (Kosten mit Nordsee-Service-Card 3,00 Euro, ohne Nordsee-Servicecard 4,00 Euro) bei der
– Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Werdum-Neuharlingersiel, An der Kirche in Werdum, Tel.
04974/9394679 oder
– Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Carolinensiel-Funnix-Berdum-Asel, Pumphusen in
Carolinensiel, Tel. 04464/420
oder beim Heimat- und Verkehrsverein Werdum, Raiffeisenplatz in Werdum, Tel. 04974/990099.
Rainer Hinrichs

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