Morgen bietet der Kulturverein Werdum wieder eine Rundfahrt zu den Kirchen im Harlingerland an. Ab 14.00 Uhr geht es nach Carolinensiel und von dort erfolgt der Start um 15.00 Uhr über Funnix, Buttforde nach Werdum. Nachfolgend einige Informationen zu den Kirchen schon mal vorab:
Carolinensiel, Funnix, Buttforde und Werdum.
Am Startpunkt Carolinensiel konnte man die Kirche aufgrund intensiver Renovierungs-arbeiten nur von außen besichtigen, jedoch konnte Rainer Hinrichs, der die Tour anführte, folgende Dinge berichten: Die Kirche ist eine von 2 Deichkirchen in Europa und wurde im Jahr 1776 fertig gestellt. Dieses späte Errichtungsdatum begründet sich aus der Tatsache, dass der gesamte Ort Carolinensiel lediglich knapp 300 Jahre alt ist (gegründet 1730). Das liegt daran, dass der Ort in einem Bereich liegt, der noch einige Jahrhunderte vorher eine Meeresbucht bildete: die Harlebucht.
Gottesdienste wurden in der Zeit bis zur Errichtung der Kirche auf dem Hof Fürstinnen Grashaus am südlichen Ortsausgang am Schnittpunkt von der Bundesstraße 210 und der Ortsumgehung abgehalten, der eine große Scheune hatte, in der alle Bewohner*innen unterkommen konnten. Im 19. Jahrhundert war Carolinensiel ein sehr belebter Handelsplatz für Segelschiffe aus aller Welt, nach Emden der zweitgrößte an der ost-friesischen Nordseeküste. Der Roman Windiger Siel der Carolinensielerin Marie Ulfers (1888-1960) beschreibt diese Vorgänge, aber auch die Gegensätze zwischen Handelsschiffahrt und Fischerei auf der einen und Landwirtschaft (die großen Bauernhöfe aus jener Zeit zeugen auch von einem großen Reichtum der Marschenbauern) auf der anderen Seite. Ein Grabstein am Kirchturm erinnert an Marie Ulfers und andere Mitglieder ihrer Familie.
Funnix lag zwar auch im Bereich der ehemaligen Harlebucht, hatte jedoch von Natur aus eine erhöhte Lage, da es auf sog. Geest-Linsen lag. Bei Sturmfluten konnte dieser Bereich nicht so leicht überspült werden, die Menschen konnten hier weiterhin wohnen bleiben (quasi wie auf einer heutigen Hallig in Nordfriesland). Die Kirche erbaute man um 1300 trotzdem auf einer sehr hohen Kirchwarft, da man so die Möglichkeit hatte, bei besonders hohen Fluten in der Kirche Zuflucht suchen zu können. Die Kirche ist 25×10 m groß und aus Feldbrand-Backsteinen errichtet worden: die Türinschrift erinnert an einen Kirchenvorsteher, der aus einer Bauernfamilie stammt, die in dieser Gegend bereits 500 Jahre ansässig ist (Ommen 1788). Innen beeindruckt zunächst ein aus katholischer Zeit stammender Lettner, von dem in jener Zeit die katholischen Priester zur Gemeinde sprachen. Er verdeckt jedoch den Blick auf den spätgotischen Holzaltar aus dem 15. Jahrhundert, der eindrucksvoll die Leidensgeschichte Christi darstellt. Dieser Altar wurde im 17. Jahrhundert von dem Esenser Kunsthandwerker Jacob Kröpelin (1615-1679) bearbeitet, der um 1660 ebenfalls die Kanzel schuf. Im Übrigen sind einige Madonnen und Pietas aus katholischer Zeit zu sehen, die die ansonsten einfach gehaltene Kirche noch ein wenig aufwerten.
Buttforde lag zu Zeiten der Harlebucht am Westrand der Bucht und hat daraus zumindest die 2. Hälfte des Ortsnamens (Forde=Brücke) entwickelt. Die Kirche hier wurde somit auch im Mittelalter, wie viele Kirchen in der Region im Zeitraum 1230-1250, erbaut, einer Zeit, die für die Region eine wirtschaftlich gute gewesen sein muss, wenn man hier so viele Kirchen bauen konnte! Diese Kirche darf sich rühmen, eine der drei schönsten in ganz Ostfriesland zu sein. Wenn man hinein geht, weiß man auch warum: Der erste Blick ist wieder auf einen Lettner, aber viel farbenfroher als in Funnix; der dahinter befindliche Dreiflügel-Altar stammt aus dem 15. Jahrhundert, die Orgel aus 1681 von dem Hamburger Orgelbauer Joachim Richborn (+1684). Imposant ist der im westlichen Bereich befindliche sog. Junkerstuhl, den sich die auf dem adeligen Hof Erichswarfen ansässige Familie Specht hat errichten lassen. Auch sind noch einige der aus früheren Zeiten erhaltenen Türen der Besucherbänke erhalten, die mit Namen und früher üblichen Hausmarken versehen sind: Wohlhabenere Familien haben damit „ihre“ Sitzplätze in der Kirche markiert, für die auch Tantiemen an die Kirche leisten mussten.
Weiterführende Informationen:
https://Kirchenfuehrungbuttforde.wir-e.de
Den Abschluss der Tour bildet die St. Nicolai-Kirche in Werdum: Auch diese Kirche stammte aus dem Zeitraum 1230-1250, und der Ort hatte durch seine Halbinsellage unmittelbaren Zugang zur Harlebucht und soll sogar 2 Häfen gehabt haben, einen in Nähe der Burg und den anderen im Ortsteil Wallum. Zum Kirchengemeindegebiet zählt auch der östliche Bereich der heutigen Gemeinde Neuharlingersiel (Ortsteile Alt- und Neuharlingersiel), der Ort selbst wurde erst 1693 gegeründet. Die Kirche teilt sich in 3 Bauabschnitte: Zunächst wurde der Bereich der Hallenkirche gebaut; östlich wurde dann um 1475 der heutige Altarraum angebaut. Bei der letzten Renovierung wurde im Deckenbereich dieses Raumes eine Abbildung des Schweißtuches der Veronika (wurde Jesus Christus bei seinem Kreuzgang gereicht) freigelegt, und das Altarbild von 1796 stammt von einem Mitglied der Malerfamilie Tischbein (stammte aus Haina in Hessen, siedelte sich im 17. Jahrhundert im nordwestdeutschen Bereich an, Bild stammte von Antoinette Röntgen, 1761-1826); interessant ist noch das Taufbecken aus 1760, es hat einen schwenkbaren Deckel. Im Bereich der Halle sind interessant der Frauenstuhl aus 1703 (ein besonderer Sitzplatz für die Bewohner der Burg), die Kanzel aus 1670, das Votivschiff „Sieben Johanns“ aus 1880, die Orgel aus 1897 (Orgelbauer Diepenbrock aus Norden) und die schönen Kerzenleuchter (der mittlere stammt aus dem Jahr 1695). Der Turm an der Westseite wurde dann im letzten Bauabschnitt bis 1763 angebaut; in ihm läutet eine Glocke, die noch aus dem 15. Jahrhundert stammt. Auch steht hier das alte Granit-Taufbecken aus dem 11. Jahrhundert, das damit eines der ältesten Taufbecken in Ostfriesland ist. Beim Außenrundgang um die Kirche fallen das Pestfenster (dadurch konnten die ansteckend Kranken im Mittelalter dem Gottesdienst von außen folgen) und die Tür an der Nordseite mit dem maurischen Vielpassbogen (die Muslime in Spanien waren im Hochmittelalter führend in der Bautechnik) und das Grab des angetriebenen Soldaten aus dem 1. Weltkrieg auf.
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