Nachdem im Juni und Juli bereits zwei Fahrradtouren durchgeführt wurden, fand nun die dritte und letzte Tour für diese Saison statt. Dafür waren zwei Anläufe notwendig, denn ursprünglich war die Tour bereits am 16.09. angesetzt. Für den Tag waren jedoch Sturm und Regen angesetzt, und beide Elemente mögen Radfahrer*innen ja so gar nicht.
An diesem Freitag war jedoch herbstlich beständiges Wetter gemeldet, so dass es los gehen konnte. Die Beteiligung war nicht so groß, aber den Personen, die mitgefahren waren, hat es großen Spaß gemacht.
Zunächst ging es unter der Führung von Rainer Hinrichs vom Werdumer Dorfplatz über Altharlingersiel nach Carolinensiel: Dort wurde die Deichkirche besichtigt, eine von zwei Kirchen in Deutschland, die auf einem Deich gebaut wurden. Sie ist im Jahr 1776 geweiht worden und damit eine der jüngeren Kirchen im Harlingerland. Dies hängt damit zusammen, dass der Ort Carolinensiel selbst noch keine 300 Jahre alt ist (1729 gegründet). Er steht nämlich auf dem ehemaligem Meeresboden der Harlebucht, der als fruchtbares Land den Fluten abgerungen werden musste. Diese ehemalige Meeresbucht an der südlichen Nordsee hat die Gestaltung des Landstriches zwischen dem heutigen Neuharlingersiel (auch erst 1693 gegründet) und Minsen im Norden und Wittmund-Jever im Süden bis vor etwa 600 Jahren bestimmt. Erst dann begann man abschnittsweise mit mehreren Deichen in vielen Generationen das Land (den Groden) trocken zu legen und für die Landwirtschaft nutzbar zu machen; entstanden ist daraus einer der fruchtbarsten Böden Deutschlands und hervorragend für den Ackerbau geeignet. Noch heute kann man auf Luftbildern gut erkennen, wo die alte Marsch – so nennt man diese Bodenart- (überwiegend als Grünland genutzt) aufhört und die neue -dem Meer abgerungene- Marsch (mit Ackerbau) anfängt.
Aber zurück zur Kirche: In den ersten Jahren des sich schnell entwickelnden Ortes fanden die Gottesdienste und kirchlichen Zusammentreffen auf einem großen Hof vor den Toren Carolinensiels (Fürstinnengrashaus) statt, aber die Gemeindeoberen beschlossen schnell, eine eigne Kirche zu errichten, die näher an der Besiedlung rund um den alten Hafen stationiert war. Um 1765 ist der Ort Friedrichsschleuse mit dem dazugehörigen Deich und dem Friedrichsgroden entstanden, und so wurde der bisherige Seedeich zum sog. „Schlafdeich“.
Da es für eine Kirche ja nicht schlecht ist, wenn sie etwas höher gelegen ist, dachten sich die Verantwortlichen, dass sie die Kirche auf dem nun nicht mehr genutzten Schlafdeich errichten könnten, der gleichzeitig auch nur ein paar Meter von den Häusern am Carolinensieler Hafen entfernt war.
Die Kirche wurde jetzt vor einigen Monaten frisch renoviert und strahlt wieder in hellem Glanz. So konnte man die beiden Votivschiffe (eine frühere Dankesgabe der örtlichen Schiffer), eine Brigg und eine größere Fregatte, betrachten. In deren Mitte ist ein sog. Kanzelaltar postiert, der die Funktionen von Altar und Kanzel vereint. Die Orgel stammt ebenfalls aus der Entstehungszeit der Kirche und wurde von der Orgelfamilie Müller aus Wittmund gefertigt. Draußen am Glockenturm wies Rainer Hinrichs noch auf den Grabstein der Heimatdichterin Marie Ulfers (1888-1960) hin, die ebenfalls aus einer Schifferfamilie im Ort stammte und die in ihrem bekanntesten Werk „Windiger Siel“ das Leben im lebhaften Carolinensiel um 1850 beschrieb. In dieser Zeit war Carolinensiel -noch vor der Gründung Wilhelmshavens einige Jahre später- nach Emden einer der größten Sielhäfen an der ostfriesischen Küste. Diese Bedeutung verlor Carolinensiel erst mit der Einführung der Dampfschiffahrt gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Quer durch die Landschaft und zeitweise an der Harle entlang -einem Flüsschen, das als Überbleibsel der Harlebucht gelten kann- ging es nach Funnix. Dieser Ort lag lange als Insel im Gebiet der ehemaligen Harlebucht, bevor durch eine Deichziehung vor Funnix im 16. Jahrhundert das niedriger gelegene Umland von Funnix trocken gelegt und nutzbar wurde. So wirkt die Kirche, die -um 1300 entstanden- auf einer künstlich angelegenen Warft angelegt wurde, noch trutziger, besonders, wenn man von Osten in den Ort hinein fährt. Die Kirchen an der Küste wurden in der Regel erhöht gebaut, da es gerade im 13. und 14. Jahrhundert, dem Zeitraum, in dem die meisten Kirchen in Ostfriesland entstanden, noch keine funktionierenden Deichlinien gab. Im 13. Jahrhundert wurde zwar die erste ganz Ostfriesland umfassende Deichlinie – der sog. Goldene Ring- fertig gestellt. Jedoch war diese Deichlinie, auf der noch heute die meisten Landstraßen an der Küste verlaufen, sehr niedrig (nur etwa 0,5-1m), und zum anderen wurde diese Deichlinie gerade im Harlingerländer Gebiet auf ganzer Linie durch eine einzige Sturmflut, die Marcellusflut im Februar 1362, zerstört. Danach konnten die höher gelegenen Kirchen weiterhin -bis zur Errichtung leistungsfähiger Deiche (s.o.)- bei größeren Stürmen den Menschen Zuflucht bieten. Aber auch die angesammelten Vorräte wurden in den Kirchen gelagert, manchmal so viele, dass die Gläubigen den Blick nicht nach vorne in den Altarraum richten konnten, weil die aufgeschichteten Kisten den Blick versperrten.
Die Innenausstattung der Kirche in Funnix zeichnet sich aus durch eine große Sammlung alter Grabsteine bis ins 15. Jahrhundert, einen überaus reich ausgeschmückten dreiflügeligen Holzaltar aus dem 15. Jahrhundert, der das Leben und Leiden Jesu in vielen Einzelbildern darstellt, und viele Heiligenfiguren (insbesondere von Maria). Die Kanzel wurde von Meister Kröpelin (1615-1679) aus Esens in der Mitte des 17. Jahrhunderts gefertigt. Derselbe hat auch den Altar neu bearbeitet und ihm die heutige Gestalt gegeben.
Weiter ging es danach über Endzetel nach Buttforde. Hier befindet sich eine Kirche aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die sowohl aus Granitquadern, als auch aus Feldbrandklinkern gefertigt wurde. Wenn man das Kirchenschiff betritt, fällt sofort die aus Rundbögen bestehende Trennwand des Raumes von Gläubigen und Geistlichen auf, ein sog. Lettner.
In den Seitenschiffen dieses Trennungsbaus befanden sich bis vor etwa 50 Jahren noch Nebenaltäre, die jedoch auch den Blick auf den Altar versperrten. Auf der Rückseite des Altars sind nahezu die gesamten Geistlichen der Gemeinde seit dem Jahr 1580 verzeichnet. Erhalten geblieben sind teilweise die Beschriftungen der Kirchenbänke, die früher jeweils einzelnen Familien zugeordnet waren: Ging man in die Kirche, konnte man „seine“ Bank nutzen. Ferner auffällig ist im Eingangsbereich ein erhöhter Sitz, genannt „Junkerstuhl“. Dieser aus dem Jahr 1703 stammende Herrensitz wurde von der Familie Specht geschaffen, die Eigentümer des adeligen Gutes in Erichswarfen waren. Bemerkenswert ist zudem die Orgel, die von dem Hamburger Orgelbaumeister Joachim Richborn (+1684), einem Zeitgenossen des berühmteren Arp Schnitger (1648-1719), gebaut wurde.
Von dort aus ging es nach Werdum, wo unsere St. Nicolai-Kirche besichtigt wurde. Im Außenbereich wurde auf das Pestfenster (Hagioskop), das Grab des vor Neuharlingersiel angeschwemmten Soldaten aus dem 1. Weltkrieg sowie die Gräber der ehemaligen Pastorin Bracklo und Schaaf hingewiesen. Innen wurde neben dem Votivschiff „Die sieben Johanns“ (1880), dem Altarbild der Frau Röntgen (1794), auf den Frauenstuhl (um 1700), die Kanzel von 1670, den Kronleuchter von 1695 und die Orgel, gebaut 1897 von der Familie Diepenbrock in Norden hingewiesen. Zufrieden machten sich die Radfahrer auf den Heimweg. Die Fahrradtouren sollen im nächsten Jahr fortgesetzt werden.
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