In der Vergangenheit (bis 2018) war es Tradition, dass die Vertreter der Gemeinde und die Mitglieder der örtlichen Feuerwehr einmal jährlich einen Tagesausflug mit dem Bus in die nähere oder weitere Region unternommen haben. Durch Corona ist diese Tradition seitdem ein wenig vernachlässigt worden.
Für dieses Jahr haben sich die Verantwortlichen der Feuerwehr (Ortsbrandmeister Stefan Bender und Oliver Kuhnhen) mal ein etwas anderes Konzept einfallen lassen: Um die örtliche Gastronomie ein wenig zu unterstützen und auch den Zeitdruck mit dem Bus im Rücken nicht zu haben, sollte in diesem Jahr eine Radtour unternommen werden. Um den Mitwirkenden zeigen zu können, dass es in unseren Nachbardörfern auch einiges zu sehen gibt, konnte Rainer Hinrichs als Begleiter gewonnen werden.
Er führt in der Tourismussaison seit über 15 Jahren Radtouren durch, in denen er auf die kulturhistorischen Besonderheiten der Region rund um Werdum hinweist. Der Schwerpunkt lag dort bisher überwiegend auf den Bauernhöfen, die einen Bezug zur adeligen Vergangenheit aufzuweisen haben sowie zuletzt auf den Kirchen in der Region. Bei der jetzt angebotenen Tour wurde dabei ein Auszug aus den bisher durchgeführten Routen dargebracht.
Vor dem Start der Tour gab es zunächst bei bestem Fahrradwetter nach der Begrüßung durch Stefan Bender eine Kaffee- und Teetafel im Mühlencafe der Familie Post.
Danach ging es mit etwa 30 Personen (groß und klein) nach Stedesdorf und zurück. Auf dieser knapp 20 km langen Tour war die erste Station Thunum: Im Innenraum der dortigen Kirche wies er auf die reichhaltige Kirchenlandschaft in der Küstenregion hin, in der insbesondere in der Zeit von 1230-1250 eine Vielzahl der heutigen Steinkirchen entstanden sind (so auch u.a. die Kirche in Werdum). Sie sind in dieser Zeit durchgehend als Ersatz für Holzkirchen erbaut worden, die als erste christliche Begegnungsstätten bei uns überwiegend im 9. Jahrhundert entstanden sind. Die Kirche in Thunum hingegen ist bereits die 3. christliche Kirche im Ort, da die Vorgängerkirche aus Stein -wahrscheinlich auch aus dem 13. Jahrhundert- wegen Baufälligkeit Anfang des 19. Jahrhunderts abgebrochen werden musste und um 1840 die heutige Kirche entstanden ist.
Die verhältnismäßig schlichte Kirche zeichnet sich aus durch einen Kanzelaltar (Altar und Kanzel in einem) -wie er bspw. auch in Carolinensiel (Kirche entstanden um 1776) zu finden ist-. Zudem sind hier Totenschilder der Familie von Glan zu sehen, die zeitweise auf dem gegenüber liegenden Gut Fiekensholt ansässig waren.
Danach wies er noch auf den derzeit nicht zu besichtigenden Grabstein des ehemaligen Thunumer Häuptlings Ede Reentzen aus dem Jahr 1394 hin, und die Gruppe besuchte noch das Grab des kurz vor Kriegsende 1945 erschossenen ukrainischen Zwangsarbeiters Vladimir Sosluk, das bis zum heutigen Tag von einer Thunumerin gepflegt wird.
Über Osteraccum ging es dann nach Stedesdorf. Hier wurde die Kirche, die älteste Steinkirche im Harlingerland, besichtigt. Um 1137 erbaut, weist heute noch ein Teil des Mauerwerkes die Ausführung mit Tuffstein aus. Dieses Gestein, aus erkaltetem Vulkangestein entstanden, wurde damals auf dem Wasserweg mit kleinen Kähnen aus der Eifel nach Ostfriesland transportiert und dann hier verbaut. Später kam dann die Ausführung mit Granitquader-steinen und noch später mit Backsteinen, die vor Ort im Feldbrand gebrannt wurden, hinzu. Der getrennt von der Kirche stehende Glockenturm stammt aus dem 15. Jahrhundert. Im südlichen Bereich des Friedhofes dürfte die Burg der Stedesdorfer Häuptlinge gestanden haben, die oft in unmittelbarer Nähe zur Kirche postiert war. Im Innenraum sticht zunächst der dreiflügelige Schriftaltar aus dem Jahr 1613 hervor. Die Kanzel stammt ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert so wie die Orgel, die 1849 von Orgelbaumeister Rohlfs aus Esens restauriert wurde. Der Taufstein aus Sandstein, verziert mit den 12 Jüngern Jesu, dürfte aus dem 12. Jahrhundert, vielleicht um die Entstehungszeit der Kirche, stammen. Zudem sind einige Grabsteine ehemaliger Stedesdorfer Pastoren aus dem 16.-18. Jahrhundert im Altarraum aufgestellt, und an der Wand ziert ein Bildnis des Pastors Becker (gestorben 1699) mit seiner Frau (mit 6 Fingern an einer Hand) den Raum.
Über Feldwege, Osteraccum, Cabans und Insenhausen ging es nach Boisenhausen, wo auf dem Hof von Familie Buldt kurze Rast gemacht wurde. An diesem Standort gab es bis ins 18. Jahrhundert ebenfalls ein adeliges Gut, welches dem ehemaligen Stedesdorfer Pastoren Cadovius-Müller bei der Erstellung eines Buches über die damals aussterbende friesische Sprache (nicht plattdeutsch) als Vorlage für die Darstellung eines friesischen Bauernhauses diente. So wissen wir noch heute, wie in Boisenhausen die Gebäude um 1700 ausgesehen haben. Als Abschluss ging es noch kurz nach Großhusums, wo neben dem Hof Higgen bis etwa Anfang des 20. Jahrhunderts ein weiterer Hof gestanden hat, der im 17. Jahrhundert ebenfalls adelige Freiheiten hatte. Er wurde damals vom ostfriesischen Fürstenhaus in Aurich angekauft und quasi als Pension an einen verdienten Beamten übergeben, der mit den Einnahmen aus dem Hof seine Ruhestandseinkünfte aufbesserte. So ist in den Regemort-Karten aus dem Jahr 1670, den ältesten Detailkarten des Amtes Esens, eine Familie Stechow verzeichnet, die Drosten (hohe Verwaltungsbeamte) in Wittmund und Aurich waren.
Als Abschluss des Tages gab es noch ein gemeinsames Abendessen im Werdumer Hof bei Familie Pieperjohanns. Hier wurde noch fleißig erzählt, gegessen und getrunken, so dass alle zufrieden wieder nach Hause gingen. (Text und Fotos: Rainer Hinrichs)