Seit einigen Jahren bietet der Kulturverein Werdum in den warmen Jahreszeiten Radtouren rund um Werdum an. In 4 verschiedenen Touren mit um die 25 km Länge können Einheimische und Gäste die Gegenden rund um unser schönes Marschendorf erkunden. Jüngst war mal wieder die West-Tour an der Reihe, die von Werdum aus Richtung Hartward und Esens und zurück über Thunum wieder nach Werdum führte. Unter der fachkundigen Leitung von Heiko Habben und Rainer Hinrichs führte der Weg zunächst vom Dorfplatz zur Burg Edenserloog in Werdum selbst. Rainer Hinrichs wies darauf hin, dass es sich hier um die letzte vorhandene Burg des Harlingerlandes handelt. In ihrer wechselvollen Geschichte hat die um 1420 entstandene Burg zunächst sog. Häuptlinge (heute würde man „Dorffürsten“ sagen) beherbergt (bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts), bevor dann die noch heute hier ansässige Familie Cramer Einzug hielt. In den 1970er Jahren wurde das Burggebäude von dem übrigen landwirtschaftlichen Betrieb abgetrennt und zunächst an Peter Ehlebracht, Mitglied der Band Insterburg & Co. verkauft und 10 Jahre später an Notar Visser aus Emden, in deren Familienbesitz sie sich noch heute befindet. Abschließend wies er noch auf die Sage vom Werdumer Schinken hin, die an diesem Ort sich maßgeblich abgespielt haben soll.
Weiter ging es dann über Wallum-Anderwarfen-Buschhaus nach Folkertshausen. Diese einzelne Hofstelle hat ebenfalls eine bewegte Geschichte vorzuweisen. Wahrscheinlich im 14. Jahrhundert gegründet, wurde sie von einem Abkömmling der Häuptlingsfamilie aus Esens-Nordorf errichtet. Später gab es Verbindungen zur adeligen Familie von Thunum, die jedoch im 30-jährigen Krieg gezwungen war, wegen umfangreicher Schulden den Hof zu verkaufen. Nach mehrfachem Besitzerwechsel gelangte der Hof Anfang des 18. Jahrhunderts an den hohen Esenser Beamten Wilhelm von Heespen, der im heutigen Esenser Rathaus residierte. Seine ohne Erben verstorbene Tochter Adelheid Auguste war mit einem Offizier von Wangelin verheiratet und hat noch vor ihrem Tod 1758 ihren umfangreichen Besitz in eine Stiftung eingebracht, die zum Zweck hatte, den unversorgt gebliebenen Witwen ihrer Familie den Lebensunterhalt sicherzustellen. Dafür wurde der Wohnsitz am Markt in Esens in ein Witwenstift umgewandelt und der Ertrag der im Familienbesitz befindlichen Immobilien (insbesondere Höfe in Folkertshausen und Berdum sowie weiterer Immobilienbesitz in Esens bis hin nach Butjadingen). Diese Einrichtung wurde aufrecht erhalten bis in die 1940er Jahre, als man beschloss, das Witwenstift als Rathaus herzurichten. Für die Witwen, inzwischen auf die Personengruppe mittelloser Witwen allgemein erweitert, wurden an anderer Stelle Unterkunftsmöglichkeiten geschaffen. Die Stiftung besteht bis zum heutigen Tage und wird heute in Aurich verwaltet.
Einige 100 m weiter hielt man in der kleinen Ortschaft Marz. Am westlichen Rand der Dorfwarf hat sich ein kleiner Häuptlingssitz befunden. In der Geschichte war es so, dass in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts es zwischen den einzelnen Dorfhäuptlingen im Harlingerland kriegerische Auseinandersetzungen gab, in dessen Folge sich die Herrlichkeit Harlingerland als Bezeichnung für die Gegend zwischen Esens und Wittmund (etwa heutiger nördlicher Landkreis Wittmund) herausgebildet hat. Damit die bisherigen Dorffürsten nicht aufmüpfig wurden, hat man ihnen einige Sonderrechte oder Steuerbefreiungen belassen, so dass man sagen kann, es hat sich so etwas wie ein Adel herausgebildet hat, der etwas „Besseres“ war als der normale freie Bauer, aber nicht so hochstehend wie die Landesherren.
Danach berichtete er noch als Exkurs ein wenig über den direkt gegenüber liegenden, nicht adeligen, Hof der Familie Edzards. Dieser ist im 18. Jahrhundert an die Familie Bangert gelangt, die aus dem Nordhessischen in Korbach stammend, Anfang des 18. Jahrhunderts Apotheken in Oldenburg und Esens betrieben hat und den Hof zunächst als Kapitalanlage gekauft hatte. Im Laufe der Generationen wurde dieser Hof auch selbst betrieben, und der Name Bangert (auch nach der Napoleonischen Namensreform um 1810) hat sich in der Region etabliert. Durch Heirat gelangte der Hof vor etwa 70 Jahren in die Familie Edzards, die ihn noch heute bewohnt.
Es ging danach über Hartward weiter in die Nähe der Stadt Esens in den Ortsteil Nordorf. Hier wird seit jeher der Standort der ersten Esenser Burg vermutet. Frerich Eilts, ein Bewohner des Ortsteils, führte uns über das Gelände, welches sich nahe der Grashauser Flage am nördlichen Rand des Esenser Stadtgebietes befindet. Er berichtete darüber, dass das hier befindliche Grundstück über ein festeres Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus Backsteinen verfügte und sich daher von den übrigen Gebäuden, die meistens nur aus Lehm bestanden, absetzte und daher im Volksmund den Namen Burg erhielt. Der genaue Standort lässt sich nicht mehr bestimmen, da dieses Steinhaus in den Auseinandersetzungen zwischen dem ostfriesischen Grafen und dem Esenser Landesherrn Balthasar um das Jahr 1530, also vor knapp 500 Jahren, zerstört wurde. Unter einem benachbarten Haus, etwa um das Jahr 1700 entstanden, befindet sich jedoch noch ein Kriechkeller, so dass es durchaus sein kann, dass ein Teil des Standortes der Burg dort vermutet werden kann.
Weiter ging es über Sterbur und durch die Baugebiete im Esenser Nordwesten Richtung Thunum. Dort wurde zunächst am Ortseingang auf dem Gelände eines Spielplatzes Rast gemacht. Bei Kaffee und selbst gebackenem Kuchen kam man ein wenig näher ins Gespräch und ließ die Erlebnisse der vergangenen knapp 2 Stunden Revue passieren. Gut gestärkt wurden danach noch die Standorte der 3 Thunumer Güter bestimmt und am Glockenturm der älteste erhaltene Grabstein des damaligen Häuptlings Ede Reentzen aus dem Jahr 1397 bewundert. Von dort aus hatte man auch einen schönen Blick auf das Gut Fiekensholt, welches aus einer Klosteranlage hervor gehend, in der Zeit der Reformation an einen Cord Brawo, einen Berater der Esenser Herrin Agnes von Rietberg, übertragen wurde. Dessen Tochter war mit einem Abkömmling des Hauses Fikensholt bei Westerstede verheiratet, von dem dieses Gut bis heute seinen Namen hat. Das von den heutigen Eigentümern vor einigen Jahren wieder hergerichtete Wohngebäude zeigt uns heute wieder die Ansicht von 1820. Beide betreiben dort in dem Gebäude ein Cafe.
Ein kurzer Abstecher in die Kirche zeigte den Teilnehmern 2 Totenschilde der Familie von Glan, ebenfalls Bewohner des Gutes Fiekensholt im 17./8. Jahrhundert. Ein Abkömmling der Familie brachte es sogar zum Obristen in der Leibgarde des Prinzen von Oranien. Diese Familie stellt noch heute die Könige und Königinnen in den Niederlanden.
Vorbei an den Standorten der ehemaligen Thunumer Burg und dem Gut Nordys ging es wieder zurück nach Werdum. Die nächste kulturhistorische Radtour wird am 10. September stattfinden und führt Richtung Neuharlingersiel.
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